Ein zerrissenes Land |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.11.2014
Moldau
steht vor einer Schicksalswahl. Am Sonntag wird ein neues Parlament
bestimmt. Die Republik, eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine,
muss sich entscheiden zwischen der EU und Putin
CHISINAU. Das schwere Eisentor öffnet sich und gibt den Blick auf den
Tunnel frei. Der Minibus saust in den Berg, zu einer der größten
unterirdischen Städte der Welt. An wichtigen Kreuzungen sorgen Ampeln
dafür, dass es nicht zu Verkehrsunfällen kommt. Die Straßen heißen
Boulevard Merlot, Rue Chardonnay oder Rieslingstraße. Doch sie sind
nicht von Häusern gesäumt, sondern von riesigen Fässern und endlosen
Reihen von Flaschen. "Es sind über 1,2 Millionen", behauptet Aurelia,
die junge Frau, die Touristen durch das Labyrinth führt. Sie trägt eine
dicke Steppjacke. Es ist recht kühl im Untergrund.
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Wer bleibt, hat schon verloren |
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Von Thomas Schmid und Michael Najjar (Bilder) | © Weltwoche - 24/2002
Um ihr Elend zu mindern, verkaufen Moldawier alles: Männer ihre Niere, Frauen ihren Körper, Eltern ihre Kinder und Obdachlose Menschenfleisch. Kein schönes Land.
Eine solche Geschichte kann jeder erfinden. Wladmir Diminet ahnt den Zweifel. Etwas verlegen krempelt er den dicken Wollpullover hoch und zeigt die zwanzig Zentimeter lange Narbe über der linken Hüfte. Es stimmt also. Der 22-jährige Mann hat sich eine Niere herausoperieren lassen. Wie mindestens dreizehn weitere gesunde Menschen im Ort. Wahrscheinlich sind es viel mehr. Die Rede ist von fünfzig. Die Leute in Mingir, einem Dorf mit rund 4000 Einwohnern, etwa hundert Kilometer südwestlich von Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, sprechen nicht gerne über das, was geschehen ist – und wohl weiter geschieht, wenn nicht hier, dann in andern Dörfern im ärmsten Land Europas.
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