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Die beste aller schlechten Lösungen PDF Drucken

Berliner Zeitung, 24.09.2014


Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama lässt - womöglich* unter Missachtung des Völkerrechts - Ziele in Syrien bombardieren. Ein Skandal!? Mag sein. Der weit größere Skandal jedenfalls ist, dass an einem Wochenende 130 000 Menschen vor dem mörderischen "Islamischen Staat" (IS) über die Grenze in die Türkei fliehen mussten, dass eine dschihadistische Soldateska Hunderte Frauen vergewaltigte, die religiösen Minderheiten der Christen und der Jesiden aus ihren Orten vertrieb, Tausende Zivilisten und Soldaten per Genickschuss ermordete, Geiseln die Kehle aufschlitzte.



Im Irak hat Obama auf Bitten der legitimen Regierung des Landes Stellungen des IS bombardiert. Doch niemand hat ihn autorisiert, die Dschihadisten in Syrien anzugreifen. Russland gewiss und vermutlich auch China hätten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Veto eingelegt. Und trotzdem ist man nun weithin erleichtert, dass sich der US-Präsident möglicherweise* über das Völkerrecht hinwegsetzt, das in diesem Fall so offensichtlich versagt.

Die Bombenangriffe von gestern rücken nun wieder Syrien ins Blickfeld. Seit Monaten schien sich der Krieg vor allem im Irak und im syrischen Grenzgebiet zur Türkei abzuspielen - ein Krieg zwischen Dschihadisten und Kurden, Letztere unterstützt von der irakischen Armee, den US-amerikanischen Bombern und deutschen Waffen. Der Krieg aber, der seit drei Jahren täglich im syrischen Kernland tobt, war oft nur noch Kurzmeldungen wert. Mehr als 190 000 Tote, mehr als drei Millionen Flüchtlinge im Ausland und 6,5 Millionen auf der Flucht im eigenen Land - der bisher opferreichste Krieg in diesem Jahrhundert war aus den Schlagzeilen geraten.

Nun wird sich dieser Krieg in der Öffentlichkeit wieder zurückmelden. Dank dem IS. Die USA sind zwar nicht unschuldig an dessen Stärke. George W. Bushs verlogen begründeter Irak-Feldzug von 2003 hat im Zweistromland zu einem Bürgerkrieg geführt, in dessen Folge die Dschihadisten bei den vom schiitischen Regime ausgegrenzten Sunniten auf eine gewisse Zustimmung stießen. Aber groß und stark geworden ist der IS in Syrien. Während dessen Armee mit geballter Macht gegen die schlecht bewaffneten Rebellen der laizistischen und moderat islamistischen Opposition vorging und ganze Städte zerbombte, bliebe der IS lange Zeit völlig unbehelligt. Das Kalkül Baschar al-Assads war offensichtlich: Entweder die oder ich. Entweder werden in Syrien Dschihadisten die Macht übernehmen, oder man akzeptiert ihn, den laizistischen Diktator, als kleineres Übel.

Assads diabolische Rechnung schien aufzugehen. Die internationale Gemeinschaft hat ihre Bemühungen um einen Frieden in Syrien resigniert eingestellt. Doch der Zauberlehrling IS ist dem Hexenmeister Assad über den Kopf gewachsen. Seit der IS über die Kontrolle von syrischen Ölfeldern verfügt und dank der von der irakischen Armee erbeuteten Waffen von den Finanziers in Katar und anderswo unabhängig wurde, ist er auch zu einem gefährlichen Gegner des syrischen Regimes geworden.

Soll sich der Westen nun mit Assad arrangieren, um den weit gefährlicheren IS zu besiegen? Obama lehnt dies ab - bislang jedenfalls. Ein Agreement mit Assad böte zwar die Chance, dessen Beschützer Iran in eine Lösung des regionalen Konflikts einzubinden. Der Protest Saudi-Arabiens, wichtigster arabischer Verbündeter der USA in Nahost und Gegner Irans im Ringen um die Hegemonialmacht, wäre gewiss. Vor allem aber wäre ein Bündnis mit dem Diktator von Damaskus, verantwortlich für Folter und Massenmord, eine moralische Kapitulation.

So geht Obama also einen andern Weg, und er hat für diesen auch die Unterstützung von arabischen Staaten gewonnen. Doch mit der Luftwaffe allein wird er den IS nicht besiegen. Also will er nun die syrische Opposition, so weit sie nicht zu radikalen Islamisten übergelaufen ist, verstärkt bewaffnen. Vor zwei Jahren noch hätte dies zusammen mit der Verhängung einer Flugverbotszone vielleicht zu einem militärischen Patt und zu politischen Verhandlungen führen können.

Nach drei Jahren Krieg ist die syrische Opposition jedoch schwächer denn je. Und Assad hat weniger denn je Anlass, die Macht zu teilen. Selbst wenn die Strategie Obamas - die Ausschaltung des IS und die Stärkung der Opposition - eines Tages aufginge, wäre man allenfalls so weit, wie man schon einmal war. Es würden sich, vor dem Hintergrund von noch mehr Zerstörung und noch mehr Toten, dieselben Fragen wieder stellen. Trotzdem: Die US-Intervention in Syrien wird zunächst einmal das Schlimmste verhindern. Es ist fürs Erste die beste aller schlechten Lösungen.


© Berliner Zeitung


* das Wort ist nachträglich eingefügt und erschien in der gedruckten Ausgabe nicht. Mir scheint im Nachhinein, dass die Intervention mölgicherweise doch nicht gegen Völkerrecht verstößt.

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid