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Ein unnöglicher Zweifrontenkrieg PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.11.2015


Wieder zwei geköpfte Menschen. Der sogenannte Islamische Staat (IS) stellte ein Foto der blutverschmierten Leichen eines Norwegers und eines Chinesen ins Netz. Bilder, die weithin Entsetzen und Ekel hervorrufen, aber bei einigen frustrierten, ohnmächtigen Jugendlichen offenbar Allmachtsfantasien beflügeln. Wie keine Terrortruppe zuvor sucht der IS die Öffentlichkeit. Ganz anders hingegen der syrische Diktator Baschar al-Assad. Seine Opfer lässt er im Dunkeln.



Zehntausende schmachten in den Verliesen der Geheimdienste. Tausende Gefangene wurden getötet, viele von ihnen zu Tode gefoltert. Der Terror, so viel ist klar, kommt in Syrien nicht nur von jenen, die wir Terroristen zu nennen pflegen. Eine militärische Lösung des Konflikts in Syrien ist nicht möglich, aber ohne militärischen Druck wird es auch keine politische Lösung geben. Aber führt nicht jeder militärische Einsatz – siehe Afghanistan, siehe Libyen – zwangsläufig zu einem Desaster?


Die Spekulation sei erlaubt: Vieles spricht dafür, dass in Syrien das Desaster heute viel größer ist, gerade, weil der Westen vor zwei oder drei Jahren jede militärische Intervention gescheut hat. Es konnte nicht darum gehen, das syrische Regime militärisch zu liquidieren. Aber man hätte über die Durchsetzung einer Flugverbotszone ein militärisches Patt erzwingen können, das Assad vielleicht an den Verhandlungstisch genötigt hätte.

Heute ist die Situation weit komplizierter. Vor allem zwei neue Akteure erschweren jede Lösung: der IS und Russland. Assads Regime und der IS haben sich bis vor Kurzem gegenseitig geschont. Die russischen Kampfflieger bombardieren weiterhin vor allem Rebellen, die einen Zweifrontenkrieg führen – gegen den IS und gegen Assad. Die Interessen sind klar: Assad will die Rebellen militärisch ausschalten, um den IS als einzige Alternative zu seinem Regime zu präsentieren. Der IS seinerseits will sich als alleinige Schutzmacht der Sunniten gegen den alawitischen Herrschaftsklüngel in Damaskus profilieren. Die Russen wollen verhindern, dass Assads Regime kollabiert.


US-Präsident Barack Obama aber hat sein Mantra am Donnerstag wiederholt: „Es reicht nicht, wenn wir einen politischen Prozess haben, der dazu führt, dass Assad an der Macht bleibt.“ Immerhin ist Assad der Hauptverantwortliche dafür, dass über 250.000 Syrer in den letzten vier Jahren im Krieg gestorben sind, dass über vier Millionen ins Ausland flüchteten und dass weitere neun Millionen als Vertriebene im Land selbst umherirren.

Trotzdem: Nach der Intervention der Russen ist es nun zu spät, einen Krieg gegen Assad und einen Krieg gegen den IS gleichzeitig zu führen. Eine Lufthoheit, die das Abwerfen von Fassbomben auf die syrische Zivilbevölkerung beenden könnte, ist jetzt nicht mehr durchsetzbar. Jedenfalls nicht gegen die Russen. Jeder militärische Schlag gegen Assad droht in einen Krieg mit den Russen zu münden und eine politische Lösung zu erschweren.

Eine Zusammenarbeit mit Assad aber würde jede westliche Intervention bei der Mehrheit der Syrer diskreditieren. So bleibt vorerst nur, von den beiden Terrorquellen Syriens, jene trockenzulegen, auf die man sich einigen kann, und das ist der IS. Nach den Attentaten in Suruc und Ankara fährt nun auch Erdogan einen härteren Kurs gegen den IS. Russland will nach dem Absturz seines Flugzeugs über dem Sinai nun verstärkt auch gegen den IS vorgehen, dem sich auch Tausende Russen, vor allem aus den muslimischen Regionen des Kaukasus, angeschlossen haben.


Russische Bomber greifen Öltransporter des IS an, um dessen Finanzquellen auszutrocknen. Die Amerikaner bombardieren Stellungen des IS in dessen Hauptstadt Rakka. Der IS könnte so durchaus geschwächt werden. Aber ohne Bodentruppen wird das Kalifat nicht zerstört werden können. Allerdings böte ein Einsatz westlicher Infanterietruppen dem IS bloß eine Legitimationsgrundlage für seinen Kampf gegen die Ungläubigen. Die Fußtruppen werden die Iraker, die Syrer, die Kurden selbst stellen müssen. Der Westen kann nur mit Bewaffnung und Ausbildung helfen – am besten legitimiert über eine Resolution des UN-Sicherheitsrats.

Gleichzeitig muss eine politische Lösung vorangetrieben werden. Wahrscheinlich werden auch Russland und der Iran bald verstehen, dass sie ihre Interessen langfristig besser in einem stabilisierten Syrien, also besser ohne Assad als mit ihm, sichern können. Man wird aber letztlich mit Teilen des mörderischen Regimes eine Übergangslösung aushandeln müssen. Es gibt keine saubere Lösung.


© Berliner Zeitung

Wieder zwei geköpfte Menschen. Der sogenannte Islamische Staat (IS) stellte ein Foto der blutverschmierten Leichen eines Norwegers und eines Chinesen ins Netz. Bilder, die weithin Entsetzen und Ekel hervorrufen, aber bei einigen frustrierten, ohnmächtigen Jugendlichen offenbar Allmachtsfantasien beflügeln. Wie keine Terrortruppe zuvor sucht der IS die Öffentlichkeit. Ganz anders hingegen der syrische Diktator Baschar al-Assad. Seine Opfer lässt er im Dunkeln.

Zehntausende schmachten in den Verliesen der Geheimdienste. Tausende Gefangene wurden getötet, viele von ihnen zu Tode gefoltert. Der Terror, so viel ist klar, kommt in Syrien nicht nur von jenen, die wir Terroristen zu nennen pflegen. Eine militärische Lösung des Konflikts in Syrien ist nicht möglich, aber ohne militärischen Druck wird es auch keine politische Lösung geben. Aber führt nicht jeder militärische Einsatz – siehe Afghanistan, siehe Libyen – zwangsläufig zu einem Desaster?
Interessengewirr und Herrschaftsklüngel

Die Spekulation sei erlaubt: Vieles spricht dafür, dass in Syrien das Desaster heute viel größer ist, gerade, weil der Westen vor zwei oder drei Jahren jede militärische Intervention gescheut hat. Es konnte nicht darum gehen, das syrische Regime militärisch zu liquidieren. Aber man hätte über die Durchsetzung einer Flugverbotszone ein militärisches Patt erzwingen können, das Assad vielleicht an den Verhandlungstisch genötigt hätte.

Heute ist die Situation weit komplizierter. Vor allem zwei neue Akteure erschweren jede Lösung: der IS und Russland. Assads Regime und der IS haben sich bis vor Kurzem gegenseitig geschont. Die russischen Kampfflieger bombardieren weiterhin vor allem Rebellen, die einen Zweifrontenkrieg führen – gegen den IS und gegen Assad. Die Interessen sind klar: Assad will die Rebellen militärisch ausschalten, um den IS als einzige Alternative zu seinem Regime zu präsentieren. Der IS seinerseits will sich als alleinige Schutzmacht der Sunniten gegen den alawitischen Herrschaftsklüngel in Damaskus profilieren. Die Russen wollen verhindern, dass Assads Regime kollabiert.
Bei Militärschlägen droht Krieg mit Russland

US-Präsident Barack Obama aber hat sein Mantra am Donnerstag wiederholt: „Es reicht nicht, wenn wir einen politischen Prozess haben, der dazu führt, dass Assad an der Macht bleibt.“ Immerhin ist Assad der Hauptverantwortliche dafür, dass über 250.000 Syrer in den letzten vier Jahren im Krieg gestorben sind, dass über vier Millionen ins Ausland flüchteten und dass weitere neun Millionen als Vertriebene im Land selbst umherirren.

Trotzdem: Nach der Intervention der Russen ist es nun zu spät, einen Krieg gegen Assad und einen Krieg gegen den IS gleichzeitig zu führen. Eine Lufthoheit, die das Abwerfen von Fassbomben auf die syrische Zivilbevölkerung beenden könnte, ist jetzt nicht mehr durchsetzbar. Jedenfalls nicht gegen die Russen. Jeder militärische Schlag gegen Assad droht in einen Krieg mit den Russen zu münden und eine politische Lösung zu erschweren.

Eine Zusammenarbeit mit Assad aber würde jede westliche Intervention bei der Mehrheit der Syrer diskreditieren. So bleibt vorerst nur, von den beiden Terrorquellen Syriens, jene trockenzulegen, auf die man sich einigen kann, und das ist der IS. Nach den Attentaten in Suruc und Ankara fährt nun auch Erdogan einen härteren Kurs gegen den IS. Russland will nach dem Absturz seines Flugzeugs über dem Sinai nun verstärkt auch gegen den IS vorgehen, dem sich auch Tausende Russen, vor allem aus den muslimischen Regionen des Kaukasus, angeschlossen haben.
Es gibt keine saubere Lösung

Russische Bomber greifen Öltransporter des IS an, um dessen Finanzquellen auszutrocknen. Die Amerikaner bombardieren Stellungen des IS in dessen Hauptstadt Rakka. Der IS könnte so durchaus geschwächt werden. Aber ohne Bodentruppen wird das Kalifat nicht zerstört werden können. Allerdings böte ein Einsatz westlicher Infanterietruppen dem IS bloß eine Legitimationsgrundlage für seinen Kampf gegen die Ungläubigen. Die Fußtruppen werden die Iraker, die Syrer, die Kurden selbst stellen müssen. Der Westen kann nur mit Bewaffnung und Ausbildung helfen – am besten legitimiert über eine Resolution des UN-Sicherheitsrats.

Gleichzeitig muss eine politische Lösung vorangetrieben werden. Wahrscheinlich werden auch Russland und der Iran bald verstehen, dass sie ihre Interessen langfristig besser in einem stabilisierten Syrien, also besser ohne Assad als mit ihm, sichern können. Man wird aber letztlich mit Teilen des mörderischen Regimes eine Übergangslösung aushandeln müssen. Es gibt keine saubere Lösung.

Kommentar zum Bürgerkrieg in Syrien: Ein unmöglicher Zweifrontenkrieg | Meinung - Berliner Zeitung - Lesen Sie mehr auf:
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