Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 07.03.2013
Sein großes Ziel war die Vollendung des Werks von
Simon Bolivar. Doch nun hinterlässt Hugo Chavez, der
Lateinamerika vereinen wollte, selbst sein eigenes Land, Venezuela,
zutiefst gespalten. Zwischen dem Lager der Chavistas und jenem der
Antichavistas scheint es keine Brücken zu geben, keine Gemeinsamkeiten,
auf die man sich verständigen könnte. Das macht die Lage nach dem Tod
von Präsident Hugo Chavez so gefährlich, ja explosiv.
Ein
gerütteltes Maß Schuld an dieser Lage trägt die Opposition. Sie
hat nach dem ersten Wahlsieg Chavez' im Dezember 1998 Jahre
gebraucht, um sich damit abzufinden, dass einer, der nicht aus dem
politischen Establishment kam, das Staatsruder übernahm - dazu noch
einer mit dunklerer Hautfarbe als in der Elite üblich, gewissermaßen
nicht stubenrein. Die Opposition hat geputscht, politische Streiks
organisiert und schließlich ein Dutzend Mal an der Urne verloren.
Aber die Hauptschuld an der extremen Polarisierung der Gesellschaft
trägt Chavez. Er peitschte, kaum an der Macht, eine neue Verfassung
durch, die ihm mehr exekutive Befugnisse zubilligte, die die
Judikative schwächte und demokratische Kontrollmechanismen weitgehend
aushebelte. Hier der Caudillo, dort das Volk, zu dem Chavez über
seine wöchentlichen Fernsehsendungen einen direkten Draht hatte. Alles
dazwischen - Parteien, Institutionen - begriff er als
Störfaktor.
Gewiss, Chavez war ein Dampfplauderer mit
diktatorischen Allüren und kungelte mit den höchst unappetitlichen
Gewaltherrschern in Weißrussland und im Iran. Die abgehalfterte
Elite ärgerte sich, in den Elendssiedlungen der venezolanischen
Großstädte hingegen interessierte dies kaum jemanden. Dort war man froh,
dass man dank kubanischer Ärzte zum ersten Mal überhaupt eine
rudimentäre Gesundheitsversorgung hatte und dass
Grundnahrungsmittel billiger wurden.
Die Opposition behauptete
immer wieder, Chavez' Strategie der Bekämpfung der Armut sei nicht
nachhaltig. Darüber kann man streiten. Unbestreitbares Faktum aber
ist, dass Chavez - und das ist sein großes, historisches Verdienst - die
Armut ins Zentrum einer nationalen Debatte gerückt hat. Er hat die
Armen ins Licht der Öffentlichkeit gestellt, ihnen dadurch auch
Würde verliehen. Vielen erschien der Präsident, der seine sozialen
Projekte "Missionen" nannte und gerne öffentlich dem Gekreuzigten
huldigte, als neuer Erlöser, als Messias. Jedenfalls fühlten sie sich
zum ersten Mal von einem Politiker ernst genommen und dankten es ihm
an der Urne.
Umgerechnet etwa 300 Milliarden Euro hat Chavez in die
Bekämpfung der Armut investiert. Er konnte dies dank steigender
Ölpreise. Als er die Macht übernahm, kostete das Fass zehn Dollar, heute
sind es 110. Jeder Anstieg um einen Dollar spülte dem
siebtgrößten Ölproduzenten der Welt eine Milliarde Dollar mehr in
den Staatssäckel. Dass die Erdölproduktion seit Chavez'
Regierungsantritt - aufgrund fehlender Investitionen in die Erneuerung
der Anlagen - um ein Drittel gesunken ist, machte sich da kaum
bemerkbar.
Trotzdem befindet sich Venezuela in einer
Wirtschaftskrise. Die Auslandsverschuldung hat sich in
den sechs Jahren verneunfacht. Vor einem Monat musste der Peso um einen
Drittel abgewertet werden. Da Venezuela traditionelle Exportgüter wie
Rindfleisch und Kaffee inzwischen importiert, wird dies zu einem
Preisanstieg führen. Schon jetzt hat das Land die höchste Inflationsrate
auf dem Kontinent.
Noch mit einer weiteren Hinterlassenschaft
Chavez' wird sich dessen Nachfolger herumschlagen müssen: der
Korruption. Sie war in Venezuela schon lange endemisch, trieb aber
unter dem autokratischen Regime neue Blüten. Auf der Rangliste von
Transparency International nimmt Venezuela unter den Ländern
Lateinamerikas nun den letzten Rang ein.
Dem Land stehen schwere
Zeiten bevor. Spätestens in 30 Tagen soll Chavez' Nachfolger gewählt
werden. Der Kandidat der Chavistas hat weder das Charisma noch die
Popularität des verstorbenen Präsidenten . Und selbst wenn er
die Wahlen trotzdem gewinnen sollte, wird der Unmut im eigenen
Lager wachsen. Denn die wirtschaftlichen Probleme sind kurzfristig
nicht zu lösen und werden sich zunächst noch verschärfen.
Ungewiss ist andererseits, ob die Chavistas, einen Wahlsieg des
heutigen Oppositionsführers, eines ehemaligen Heißsporns, der längst
moderate Töne anschlägt, überhaupt kampflos hinnehmen würden. Gewinnt
er die Wahlen, ist selbst ein Putsch der Armee nicht auszuschließen.
Die Militärs haben zwar kein politisches Programm, aber viel zu
verlieren. Sie sind die Kaste, die vom Regime Chavez' mindestens so viel
profitiert hat wie die Armen.
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