Eine Chance für Griechenland und für Europa Drucken
Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 27.01.2015


Viele Griechen heizen wieder mit Holz, stehen in den Küchen wohltätiger Vereine um einen Teller Suppe an und schicken ihren Nachwuchs in SOS-Kinderdörfer. Ärzte versorgen in Notkliniken mittellose Patienten, die aus jeder Krankenversicherung herausgefallen sind. In Griechenland, einem Staat der EU, einem Zimmer im Haus Europa, herrscht ein humanitärer Notstand, der hierzulande kaum wahrgenommen wird. Griechenland geht ins sechste Jahr der Krise. Nun zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels.  Nicht weil genug gespart wurde, sondern weil immer mehr Griechen die Sparpolitik satt haben. Die linke Syriza hat die Wahl klar gewonnen.



Der erst 40-jährige Wahlsieger Alexis Tsipras steht für eine neue, unverbrauchte Generation, die nicht mit dem alten Machtklüngel verbandelt ist. Er könnte in einem Land das seit dem Ende der Militärdiktatur abwechselnd und am Schluss gemeinsam von zwei Parteien, der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Pasok, regiert wurde, einen Wechsel der politischen Elite einleiten - und damit einen Abschied von einem Machtsystem, das auf Vetternwirtschaft und Korruption beruhte und jede Modernisierung des Staatsapparates blockierte. Tsipras ist auf dem besten Weg, diese Chance leichtfertig zu verspielen. Dass er ausgerechnet eine Koalition mit den Rechtspopulisten von ANEL eingeht, deren Führer Panos Kammenos, ein xenophober Demagoge erster Güte, schon der Neo Dimokratia als Vizeminister gedient hat, ist ein schlechtes Omen. Man kann nur hoffen, dass Syriza diese Koalition aufkündigt, bevor sie an ihr zerbricht.



Trotzdem: Griechenland – so darf man das Votum vom Sonntag interpretieren – sucht einen Neuanfang. Auch die Troika aus EU, EZB und IWF sollte nun ihre Strategie überdenken. Gewiss, die griechische Krise ist hausgemacht. Nea Dimokratia und Pasok haben den Staat jahrzehntelang als Selbstbedienungsladen begriffen. Sie haben den Staatsapparat aufgebläht, aktiver und passiver Korruption Vorschub geleistet und nie eine Steuerpolitik durchgesetzt, die den Namen verdient. Dass Griechenland aber heute noch tiefer in der Krise steckt als vor fünf Jahren, dafür ist im Wesentlichen die Troika aus EU, EZB und IWF verantwortlich. Sie hat dem Land einen rigorosen Sparkurs mit desaströsen Folgen aufgezwungen: Das Bruttoinlandsprodukt ist seither um einen Viertel eingebrochen, Renten und Löhne wurden um ein Drittel gekürzt, jeder vierte Grieche ist arbeitslos, unter den jugendlichen sogar jeder zweite.


Griechenland hat 320 Milliarden Schulden – das entspricht fast 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und muss nun 20 bis 25 Prozent des Budgets für Zinszahlungen ausgeben. Zwar hat das Land inzwischen einen ausgeglichenen Haushalt – aber eben nur, wenn man die Zinsleistungen nicht mitrechnet. Das heißt jeder Überschuss geht für Zinszahlungen drauf, statt eine wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, die der sozialen Verwüstung ein Ende setzen und der arbeitslosen Jugend eine Lebensperspektive bieten könnte.


So kann es nicht weitergehen. So findet Griechenland nie aus der Krise. Das sagen inzwischen immer mehr Wirtschaftsexperten. Tsipras, der Wahlsieger, sagt es schon lange. Er fordert einen Schuldenschnitt, hat aber zugesagt, keine einseitigen Schritte unternehmen. Die Troika scheint bereit, die Laufzeiten der Kredite noch weiter zu strecken und die Zinsen noch weiter zu senken. Das wird nicht reichen, um die fatale Logik der Verarmung zu durchbrechen. Doch gibt es Raum für Kompromisse. So könnte etwa die Rückzahlung der Schuld an das Wirtschaftswachstum gekoppelt werden.


Es wird für beide Seiten schwer. Ein Schuldenschnitt ist in vielen Ländern der EU politisch nur schwer durchzusetzen, weil er letztlich auch auf Kosten der Steuerzahler geht. Tsipras seinerseits wird Abstriche von seinen kostspieligen Wahlversprechen machen und Teile seiner Gefolgschaft wohl vor den Kopf stoßen müssen. Aber es gibt ein gemeinsames Interesse: einen Grexit, den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, will weder Tsipras noch die Troika. Der wirtschaftliche Schaden wäre für Griechenland verheerender als für die EU. Aber diese müsste mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen Turbulenzen rechnen.

Noch schlimmer wäre allerdings der politische Flurschaden. Europa, das sich mit seiner Integration so schwer tut, würde ein Stück weit auseinanderfallen statt zusammenwachsen. Während in Frankreich, Ungarn, Schweden, Großbritannien und andern Ländern angesichts der wirtschaftlichen Probleme rechtspopulistische, europafeindliche Parteien erstarken, hat es in Griechenland mit Syriza eine durchaus europafreundliche Partei geschafft, den Prozess gegen die soziale Verelendung zu kanalisieren. Man darf dies Tsipras ruhig als Verdienst anrechnen. Wenn er nun aber mit den Rechtspopulisten koaliert, ist dies nicht nur ein schlechtes Omen für Griechenland, sondern auch ein immenscher Schaden für die europäische Linke. Immerhin war er vor acht Monaten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ihr Spitzenkandidat.