Kleinkredit für Papandreou |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 09.11.2010 Die Regierenden lieben es, den Regierten ihre Politik als alternativlos zu verkaufen: Das traf auf Schröders Agenda 2010 zu, auch auf Merkels Rettungsschirm für die Banken oder die Erhöhung des Rentenalters. Politik wird dann zum Vollzug eines Diktats von Sachzwängen. Die äußeren Umstände, die wirtschaftliche Konjunktur, die demografische Entwicklung oder die internationale Lage müssen oft als Ausrede herhalten, wenn es den Politikern an Willen und Fantasie gebricht, Alternativen aufzuzeigen. Der Demokratie ist dies abträglich. Wie soll sich der Bürger für die Politik interessieren, wenn es realiter nichts mehr zu entscheiden gibt? Griechenland stand vor einem
Jahr vor der Pleite. Zu einer rigiden Sparpolitik, zu einer
schmerzhaften Sanierung der öffentlichen Finanzen gab es tatsächlich
keine Alternative. Die Resultate der Kommunal- und Regionalwahlen
zeigen, dass die Mehrheit der Griechen dies intuitiv begriffen hat. Die
größte Partei mit 40 Prozent nicht abgegebenen Stimmen war deshalb die
Partei der Nichtwähler. In Athen erreichte sie sogar eine absolute
Mehrheit. Man muss Ministerpräsident Giorgos Papandreou
zugutehalten, dass er zu seinem Volk Tacheles geredet hat, dass er
schnörkellos nichts als Blut, Schweiß und Tränen versprach. Seine
sozialdemokratische Pasok hat - im Vergleich zur Parlamentswahl vor
einem Jahr - zehn Prozent Stimmen verloren, liegt aber trotzdem noch vor
der konservativen Opposition der Nea Dimokratia, die ebenfalls Stimmen
verlor, wenn auch nur ein Prozent. Die Griechen scheinen noch nicht
vergessen zu haben, dass vor allem die Konservativen ihnen das Debakel
eingebrockt haben. Profitiert vom Einbruch der Pasok haben die
Nichtwähler und zum geringeren Teil die Kommunisten. Papandreou
hatte die Wahlen zu einem Plebiszit über seine Sparpolitik deklariert
und für den Fall einer Niederlage mit Neuwahlen gedroht. Das scheuchte
zwar die Finanzmärkte auf und verteuerte kurzfristig die Kosten für
Griechenlands Kredite. Doch wollte der Regierungschef mit der Drohung
wohl vor allem seine Wähler mobilisieren. Neuwahlen hätten, das konnte
sich der alte Politfuchs ausrechnen, bestenfalls zu einer knapperen
Mehrheit seiner Partei im Parlament geführt oder gar eine
Regierungskoalition mit der Nea Dimokratia erzwungen. Diese aber lehnte
die Sparmaßnahmen - Bedingung für den 110-Milliarden-Kredit von EU und
IWF - rundweg ab. Eine plausible Alternative zeigte sie nie auf. Unter
diesen Sparmaßnahmen stöhnen nun die Griechen. Papandreous Regierung
hob die Mehrwertsteuer um vier Prozent an, kürzte die Löhne im
öffentlichen Dienst um 14 Prozent und fror das Rentenniveau ein. Zwar
hat sich dank dieser Austeritätspolitik das Staatsdefizit im ersten
Halbjahr 2010 fast halbiert. Die Zielvorgaben der Kreditgeber
hinsichtlich der Senkung öffentlicher Ausgaben wurden nahezu erfüllt,
nicht aber hinsichtlich der Staatseinnahmen. Trotz einschneidender
Steuererhöhungen wurde das Soll nicht mal zur Hälfte erbracht. Die
rigide Sparpolitik zeitigt zudem negative Folgen. Die Inflation ist mit
vier Prozent inzwischen doppelt so hoch wie prognostiziert, und die
Arbeitslosigkeit ist auf eine Rekordhöhe von über zwölf Prozent
geschnellt und wird noch weiter anwachsen. Bis 2012 wird mit einem
Schrumpfen der Wirtschaft gerechnet. Bis 2012 wird Griechenland -
vorausgesetzt, es kommt den vereinbarten Bedingungen nach - Tranche für
Tranche den rettenden Megakredit erhalten. In den folgenden drei Jahren
sollen die Wirtschaft wieder wachsen und der Kredit zurückgezahlt
werden. Ob das riskante Kalkül aufgeht, hängt auch davon ab, ob
die arg gebeutelten Griechen wenigstens den Eindruck haben, dass die
Kosten der Sanierung der Staatsfinanzen auf alle Schultern einigermaßen
gerecht verteilt werden, dass Arme wie Reiche bluten müssen. Um das
langfristige Ziel einer wirtschaftlichen Stabilisierung zu erreichen,
nimmt die Regierung kurzfristig eine Verschärfung der sozialen Konflikte
in Kauf. Diese fanden bisher in etlichen Generalstreiks einen recht
hilflosen Ausdruck. Als Trittbrettfahrer nutzten Bombenbastler die
desolate Lage. Papandreou wird sich davon nicht beeinflussen lassen. Sollten
aber nur die Armen gerupft und die Reichen verschont werden, wird die
Akzeptanz des Sparprogramms schmelzen. Dann würde die
Steuerhinterziehung wohl bald zum Akt passiven Widerstands mit spürbaren
Folgen, die sich auch in den Wirtschaftsziffern niederschlügen. Und der
von den Griechen immer wieder eingeforderte Mentalitätswechsel hin zu
neuem staatsbürgerlichen Bewusstsein stieße weithin auf taube Ohren. |