Feigenschnaps und Nüsse |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 04.05.2013
Einmal im Jahr reisen Juden aus aller Welt nach
Djerba. Ihre traditionelle Wallfahrt führt sie zur
ältesten Synagoge Afrikas
DJERBA. Es war einmal eine
junge Frau. Sie lebte ganz allein in einer einfachen Holzhütte in einer
ziemlich öden Landschaft auf einer Insel, die heute Djerba heißt und
zu Tunesien gehört. Die Frau war so schön, dass keiner im Dorf es
wagte, sich ihr zu nähern. Erst als die Hütte eines Tages Feuer fing,
rannten die Leute hin und entdeckten zu ihrer großen Verwunderung,
dass die schlichte Behausung komplett abgebrannt, der Körper der
fremden Frau aber unversehrt geblieben war. Da wussten sie, dass
eine Heilige gestorben war, und sie errichteten am Ort eine
Synagoge, die sie El Ghriba, auf Deutsch "die Fremde", nannten.
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Im Land des verdorrten Jasmins |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.01.2013
In kleinen Städten wie Tataouine begann vor zwei
Jahren der arabische Frühling. Jetzt herrschen in Tunesien
die Islamisten - und haben den Winter zurückgebracht
TATAOUINE. Es ist
eine Augenweide: Tücher in leuchtenden Farben. Datteln, Safran und
getrocknete Pfefferschoten, aus denen die scharfe Harissa-Paste
hergestellt wird. Mit ihr würzen die Tunesier Fleisch, Suppe und
Nudeln. In einer Mauernische zwischen zwei Ständen sitzt ein
Mann, eingehüllt in einen Burnus, einen braunen Wollmantel mit
Kapuze, das traditionelle Gewand der Berber, das an eine Mönchskutte
erinnert. Er zerkrümelt braune Blätter, füllt den Kautabak in
Plastikbeutelchen ab. Der Souk, der prächtige Markt, strahlt in allen
Farben. Ansonsten ist Tataouine eine recht trostlose Stadt, eintönig,
grau, staubig, kein Ort, an dem man verweilen mag.
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Im Schatten der Revolution |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 22.08.2012
Ein Komiker wird am Auftritt gehindert, ein
Universitätsprofessor muss sich einer wochenlangen Belagerung
erwehren - immer offensiver bedrohen in Tunesien
Salafisten die Freiheit von Kunst und Wissenschaft.
TUNIS.
Von Platanen gesäumte Boulevards führen sternförmig zum Hauptplatz.
Stuckverzierte Fassaden künden von der Gründerzeit. Die Bewohner von
Menzel Bourguiba, sechzig Kilometer nördlich von Tunis gelegen,
nennen ihre Stadt gern Klein-Paris. Gebaut wurde sie 1897 von den
Franzosen. Damals hieß sie Ferryville, benannt nach dem
französischen Premierminister Jules Ferry, unter dem wenige Jahre
zuvor Tunesien ein Protektorat Frankreichs geworden war. 1956 wurde
der Maghreb-Staat unabhängig und noch im selben Jahr ließ Habib
Bourguiba, der die Macht im Land übernommen hatte, die Stadt
selbstbewusst umtaufen in Menzel Bourguiba - Haus von Bourguiba.
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Trittbrettfahrer der Revolution |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 21.10.2011
Am Sonntag wählen die Tunesier eine Verfassungsgebende
Versammlung als Fundament für einen demokratischen Staat. Sieger könnten
die Islamisten werden.
TUNIS. Auf der einen Seite des Tisches sitzt ein leicht rundlicher Mann
in abgetragener Jacke, mit gestutztem weißem Bart und kahlrasiertem
Kopf. Er ist der Typ gealterter Bohémien. Ihm gegenüber haben drei junge
Frauen Platz genommen. Sie sind schlank, zwei von ihnen sind modisch
gekleidet, stark geschminkt. Die dritte hat deutliche Narben an Lippen
und Augenbrauen, Folgen ihrer Piercings. Sie trägt Jeans, zerrissen, wie
man sie heute von der Stange kaufen kann, und Turnschuhe. Der Mann
strahlt großväterlichen Charme aus, er gehört zu den Menschen, die mit
den Augen lachen können. Mit geübtem Blick taxiert er eine der Frauen.
Er stellt sie sich vermutlich in anderen Kleidern vor, an einem anderen
Ort, zusammen mit anderen Personen. Ist sie diejenige, die er sucht, die
er braucht? Die Frau schaut verlegen, unsicher, lächelt etwas bemüht.
Wird sie die Rolle kriegen?
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