Tunesien
Der Stoff, aus dem die Zukunft ist PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.08.2013


In Tunesien begann der arabische Frühling. Jetzt droht die junge Demokratie an Machtkämpfen und Wirtschaftskrise zu scheitern.


GAFSA. Die Sonne hat die kahlen Berge am nahen Horizont in goldenes Licht getaucht. Wind wirbelt Staub über die Straße. Es ist brütend heiß. Hier, am Rand der Wüste, hat Ridha Labidi eine Müllkippe gekauft, wenige Kilometer außerhalb von Gafsa, einer Stadt im Zentrum Tunesiens. Er hat die Abfallmassen abtragen lassen und 42000 Kubikmeter frische Erde herangekarrt. Zwanzig Jahre ist das Geschäft her. Nun führt Labidi den Besucher durch sein Paradies: Bananenstauden mit großen lilafarbenen Blüten, mit Dattelbündeln beladene Palmen, Olivenbäume und Blumen in allen Farben. Früher war Labidi Bauunternehmer, das Geschäft machte ihn zu einem schwerreichen Mann. Jetzt hat er auf einem billigen Plastikstuhl Platz genommen. "Das ist mein andalusischer Garten", sagt er mit strahlendem Gesicht. Er scheint der glücklichste Mensch der Welt zu sein.

Weiterlesen...
 
Feigenschnaps und Nüsse PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 04.05.2013


Einmal im Jahr reisen Juden aus aller Welt nach Djerba. Ihre traditionelle Wallfahrt führt sie zur ältesten Synagoge Afrikas


DJERBA. Es war einmal eine junge Frau. Sie lebte ganz allein in einer einfachen Holzhütte in einer ziemlich öden Landschaft auf einer Insel, die heute Djerba heißt und zu Tunesien gehört. Die Frau war so schön, dass keiner im Dorf es wagte, sich ihr zu nähern. Erst als die Hütte eines Tages Feuer fing, rannten die Leute hin und entdeckten zu ihrer großen Verwunderung, dass die schlichte Behausung komplett abgebrannt, der Körper der fremden Frau aber unversehrt geblieben war. Da wussten sie, dass eine Heilige gestorben war, und sie errichteten am Ort eine Synagoge, die sie El Ghriba, auf Deutsch "die Fremde", nannten.

Weiterlesen...
 
Im Land des verdorrten Jasmins PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.01.2013


In kleinen Städten wie Tataouine begann vor zwei Jahren der arabische Frühling. Jetzt herrschen in Tunesien die Islamisten - und haben den Winter zurückgebracht


TATAOUINE. Es ist eine Augenweide: Tücher in leuchtenden Farben. Datteln, Safran und getrocknete Pfefferschoten, aus denen die scharfe Harissa-Paste hergestellt wird. Mit ihr würzen die Tunesier Fleisch, Suppe und Nudeln. In einer Mauernische zwischen zwei Ständen sitzt ein Mann, eingehüllt in einen Burnus, einen braunen Wollmantel mit Kapuze, das traditionelle Gewand der Berber, das an eine Mönchskutte erinnert. Er zerkrümelt braune Blätter, füllt den Kautabak in Plastikbeutelchen ab. Der Souk, der prächtige Markt, strahlt in allen Farben. Ansonsten ist Tataouine eine recht trostlose Stadt, eintönig, grau, staubig, kein Ort, an dem man verweilen mag.

Weiterlesen...
 
Im Schatten der Revolution PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 22.08.2012


Ein Komiker wird am Auftritt gehindert, ein Universitätsprofessor muss sich einer wochenlangen Belagerung erwehren - immer offensiver bedrohen in Tunesien Salafisten die Freiheit von Kunst und Wissenschaft.


TUNIS. Von Platanen gesäumte Boulevards führen sternförmig zum Hauptplatz. Stuckverzierte Fassaden künden von der Gründerzeit. Die Bewohner von Menzel Bourguiba, sechzig Kilometer nördlich von Tunis gelegen, nennen ihre Stadt gern Klein-Paris. Gebaut wurde sie 1897 von den Franzosen. Damals hieß sie Ferryville, benannt nach dem französischen Premierminister Jules Ferry, unter dem wenige Jahre zuvor Tunesien ein Protektorat Frankreichs geworden war. 1956 wurde der Maghreb-Staat unabhängig und noch im selben Jahr ließ Habib Bourguiba, der die Macht im Land übernommen hatte, die Stadt selbstbewusst umtaufen in Menzel Bourguiba - Haus von Bourguiba.
Weiterlesen...
 
Trittbrettfahrer der Revolution PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 21.10.2011


Am Sonntag wählen die Tunesier eine Verfassungsgebende Versammlung als Fundament für einen demokratischen Staat. Sieger könnten die Islamisten werden.


TUNIS. Auf der einen Seite des Tisches sitzt ein leicht rundlicher Mann in abgetragener Jacke, mit gestutztem weißem Bart und kahlrasiertem Kopf. Er ist der Typ gealterter Bohémien. Ihm gegenüber haben drei junge Frauen Platz genommen. Sie sind schlank, zwei von ihnen sind modisch gekleidet, stark geschminkt. Die dritte hat deutliche Narben an Lippen und Augenbrauen, Folgen ihrer Piercings. Sie trägt Jeans, zerrissen, wie man sie heute von der Stange kaufen kann, und Turnschuhe. Der Mann strahlt großväterlichen Charme aus, er gehört zu den Menschen, die mit den Augen lachen können. Mit geübtem Blick taxiert er eine der Frauen. Er stellt sie sich vermutlich in anderen Kleidern vor, an einem anderen Ort, zusammen mit anderen Personen. Ist sie diejenige, die er sucht, die er braucht? Die Frau schaut verlegen, unsicher, lächelt etwas bemüht. Wird sie die Rolle kriegen?

Weiterlesen...
 
Die enttäuschten Revolutionäre PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.06.2011


In Tunesien gibt es seit dem Sturz des Diktators mehr Probleme als davor. Das führt zu Unruhe und Gewalt. In Metlaoui, im Süden des Landes, werden Menschen massakriert. Anhänger des gestürzten Regimes sollen dahinter stecken. Sie planen offenbar den Gegenschlag


METLAOUI. Es ist ein grauenhaftes Foto, eines jener Bilder, das man sofort wieder vergessen möchte und das sich doch tief ins Gedächtnis einbrennt. Da liegt, in Nahaufnahme, ein junger Mann mit nacktem blutendem Oberkörper auf dem Pflaster, ein Auge weit geöffnet. In dem anderen Auge steckt ein langes Messer. Jamil Tababi, der vor seinem ausgebrannten Laden steht, schaltet das Handy aus, und das Foto des toten Mannes verschwindet vom Display. Mohamed Ghezali hieß der Mann. Er ist einer von dreizehn Menschen, die bei Stammesfehden in Metlaoui umgekommen sind.

Weiterlesen...
 
Die Mühlen der Freiheit PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.03.2011


Auf dem Kasbah-Platz von Tunis kampieren an die tausend Menschen für Reformen. Am Sportpalast dagegen demonstrieren täglich ebenso viele für Ruhe und Ordnung. Die Jasmin-Revolution droht die tunesische Gesellschaft zu spalten.

TUNIS. Das Herz der Revolution schlägt auf dem Kasbah-Platz am oberen Ende der Medina, der Altstadt von Tunis, Zwischen dem Dar El Bey, einst Residenz des türkischen Statthalters, heute Amtssitz des Ministerpräsidenten, und dem Finanzministerium - dem "Diebstahlministerium", wie eine Plakette auf der Mauer verkündet - kampieren seit zwei Wochen an die tausend Personen. Nachts ist es empfindlich kalt. Tagsüber regnet es oft. Die Menschen liegen eng zusammen, in dicke Decken gewickelt. Vor einem Zelt sind sechs Fotos ausgehängt. "Es sind sechs Märtyrer", erklärt Afif pathetisch. Der 25-jährige Telekommunikationstechniker hat ein Diplom in der Tasche, ist arbeitslos und schlägt sich als Taxifahrer durchs Leben. Wie viele hier hat er sich in eine tunesische Fahne gehüllt. Auch er war auf der Demonstration, bei der vor einer Woche sechs Menschen erschossen wurden.

Weiterlesen...
 
Exodus der Gastarbeiter PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 28.02.2011


FLÜCHTLINGS BIS ZU DEN AUFSTÄNDEN WAREN DIE ÄGYPTER GERN GESEHENE HELFER IN GADDAFIS LIBYEN. JETZT FLIEHEN SIE ZU ZEHNTAUSENDEN VOR DER GEWALT, DIE SICH AUCH GEGEN SIE RICHTET. MANCHE VERLIEREN DABEI ALLES, WAS SIE HABEN.


RASS AJDIR. Nur Männer. Überall nur Männer. Männer in Jeans oder Dschellabah, dem arabischen Männerrock, Männer mit Baseball-Mütze und Männer mit Kefyia, dem um dem Kopf geschlungenen Tuch. Die einen schlafen auf dem steinigen Boden, die andern hasten mit Koffern und schweren Bündeln zu Bussen. In Rass Ajdir, dem tunesisch-libyschen Grenzübergang in der Wüste, sind allein am Sonnabend über 12000 Ägypter eingetroffen, der Hölle Gaddafis entflohen.

Weiterlesen...
 
Straßenkämpfe nach der friedlichen Revolution PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 17.01.2011


TUNIS. Auf der Avenue Habib Bourguiba im Zentrum der tunesischen Hauptstadt hat die Armee massiv Stellung bezogen. Vor dem Innenministerium und vor der französischen Botschaft stehen schwere Schützenpanzer. An einigen Seitenstraßen, die in den für den Verkehr inzwischen gesperrten Prachtboulevard münden, entscheiden zivil gekleidete Personen mit mächtigen Holzprügeln in der Hand, wer durchgelassen wird. Anderswo ist der Zugang wiederum frei. Es ist unwichtig. Hunderte knüppelbewehrter Zivilpolizisten haben hier ohnehin alles unter Kontrolle. Die Geschäfte sind schon seit drei Tagen ausnahmslos geschlossen. Die zahlreichen Straßencafés ebenso. Die quirlige Avenue Habib Bourguiba, wo sonntags in gewöhnlichen Zeiten Tausende flanieren, ist ausgestorben.

Weiterlesen...
 
Ein Land im Ausnahmezustand PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 15.01.2011


TUNIS. Präsident Zine el Abidine Ben Ali ist weg, vielleicht auf dem Weg nach Paris. Nur vorübgergehend sei er weg, heißt es amtlich. Keiner glaubt, dass Ben Ali wiederkommt. Leila Trabelsi, seine als raffgierig und korrupt verschriene Frau soll sich schon seit mindestens einer Woche in Dubai aufhalten. Sakhr El Matri, der Schwiegersohn des Präsidenten, der sich die Filetstücke der tunesischen Wirtschaft unter den Nagel gerissen hat, weilt bereits in Kanada. Hat die Armee den Flughafen gesperrt, damit nicht noch weitere Mitglieder des verhassten Clans das Weite suchen? Tunis läuft über von Gerüchten. Es herrscht Ausnahmezustand. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi hat vorübergehend die Nachfolge Ben Alis angetreten. Der Präsident sei derzeit nicht in der Lage, sein Amt auszuüben, sagt er.

Weiterlesen...
 
<< Start < Zurück 1 2 Weiter > Ende >>

JPAGE_CURRENT_OF_TOTAL

copyright © 2008 | - Journalist | website designed by: kalle staymann

Der Blick in die Welt, Thomas Schmid